Stress?

Viele Menschen sind stolz darauf, wenig Zeit zu haben. Und das mein ich jetzt ernst. Wenn Sie sich über Stress beklagen, dann meistens mit einem Lächeln im Gesicht. Als ob sie ein lobendes Schulterklopfen vom Gegenüber erwarten, wenn sie von ihrem vollen Terminkalender und dem vielen Stress erzählen. Hier auf der Arbeit gibt es einen, der dann immer schön brav von morgens 7 Uhr bis spät abends da ist, und wenn er um 19 Uhr das Bürogebäude verlässt, ist dies noch „früh“ für ihn.

 

Und ja – "nichts tun" hat in unserer Gesellschaft kaum noch Platz. Auf der anderen Seite steigen die Krankschreibungen wegen Stresserkrankungen von Jahr zu Jahr an. Dabei hätten wir ein unbestechliches Instrument immer bei uns, wenn es um das Thema Überlastung geht: Unseren Körper. Unsere Gesellschaft belohnt diejenigen, die tun und handeln. Das geht schon in den Pampers los und danach nahtlos weiter. Leistung zählt. Wer kann als erster sprechen, Fahrrad fahren, die erste Fremdsprache, schreibt die beste Note usw. Oftmals wird über Leistung Anerkennung und Zuneigung "erkauft" und irgendwann verselbständigt sich dieser Mechanismus. "Nur wenn ich leiste, bin ich liebenswert" heißt dann der Glaubenssatz.

 

Andererseits habe ich oft das Gefühl, dass die, die hart und viel arbeiten, beruflich gar nicht weiterkommen. Sondern eher die, die arbeiten lassen, und sich einfach nur schlau und gut verkaufen.

 

Und das lustige, im Urlaub werden wir meistens krank. Das geht so weit, dass wir nervös werden, wenn es zu ruhig wird. Unruhe taucht auf und wir begegnen ihr mit Ablenkung, darin sind wir mittlerweile Meister – ständig erreichbar, ständig online und ständig stimulierbar durch alle möglichen Reize: Essen, Trinken, Einkaufen, Internet, Fernsehen. Sinnigerweise werden wir auch meistens dann krank, wenn wir Urlaub haben. Denn Urlaub bedeutet ja auch Ruhe. Das fängt ja schon an einem Wochenende an, das nicht verplant ist. Einen ganzen Tag zu Hause auf der Couch sitzen und nichts tun? Völlig unmöglich!

 

Was wir größtenteils schon längst verloren haben, ist ein Zugang zu unserem Körper. Der zeigt uns recht zuverlässig an, wann es uns zu viel wird. Eigentlich. Vorausgesetzt, wir hören auf ihn. Denn Stress und Überlastung bedeuten in einem ersten Schritt nur eines: Es ist gerade zu viel auf einmal. Und die größte Herausforderung bei den ersten Schritten in diese Richtung Stressmanagement ist, überhaupt mitzubekommen, was uns unser Körper vermitteln möchte. Und dazu reichen Disziplin und Willen nicht aus, weil diese zu sehr kopfgesteuert und zu wenig körperaffin sind. Kleine Regungen unseres Körpers zeigen uns, wenn etwas nicht mehr stimmt, schon lange bevor die ersten Schlafstörungen kommen, der Stoffwechsel nicht mehr in Balance ist oder uns der Tinnitus den letzten Nerv raubt. Und genau an diesen Anfangspunkt müssten wir zurückgehen – genau dann, wenn unsere bisherige Disziplin und der eiserner Wille nicht mehr weiterhelfen.

 

Fragt euch doch mal:

Wann genau habe ich die ersten Stress-Signale wahrgenommen?

Wie zeigt sich Stress denn für mich? Welcher Stress-Typ bin ich denn?

Wie ist mein Verhältnis zu Leistung und Anstrengung?

 

Ein gutes Mittel dafür ist Achtsamkeit. Wir müssen unser Aktions-Tempo etwas verlangsamen, um unserer Stress-Wahrnehmung überhaupt eine Chance zu geben und Achtsamkeit brauchen wir, um besser in Kontakt zu kommen, mit dem eigenen Spürsinn oder mit dem Bauchhirn, wie manche Autoren das beschreiben. Und eines muss man sich auch bewusst sein, man wird nicht jünger, nein, leider nicht. Ich sehe dies an meiner Mutter. Mit ihren 62 Jahren arbeiten sie noch tagtäglich, putzt das ganze riesige Haus, wäscht Wäsche, bügelt – das volle Programm. Aber runterschrauben? Fehlanzeige. Leider. Denn ich sage ihr immer „Bis du irgendwann tot umfällst“, und sorry, aber es ist so. Man denkt, es geht noch, ein bisschen geht da noch – aber nein, es geht eben nicht mehr. Dafür hat sie vier Kinder, die sie tatkräftig unterstützen können.

 

 

In diesem Sinne ein paar Tipps:

Nehmt euch einfach öfter mal ein bisschen Zeit. Gönnt euch die Zeit, um euch die Frage zu stellen „Wie geht es mir denn gerade bei dem was ich tue“. Beobachtet eure Gedanken, ohne diese gleich zu bewerten oder ins Tun zu verfallen, nur beobachten, nach dem Motto „Oh, da kommt mir gerade XY in den Sinn“. Beobachtet gerade in stressigen Momenten: Wie kündigt sich ein spezieller Stress denn genau wo und wie an? Wo bemerkt man ihn zuerst?

 

Und mal ganz ehrlich. Die Wäsche kann auch noch einen Tag warten, dann wäscht ihr halt morgen, und ruht euch heute mal aus.