Normalität.

Was ist eigentlich noch „normal“? Eine schwierige Frage. Vor allem in einer Zeit, in der nur eins zählt: außergewöhnlich zu sein. Längst ist nämlich das Abweichen von der Norm zur Norm geworden.

 

 

Alles Mögliche wollen wir gern sein, nur bitte nicht normal. Normal – das klingt nach Gewohnheit, nach Max Mustermann und Lieschen Müller, nach langweiligem Durchschnitt. Aber was ist eigentlich normal? Für mich ist es „normal“ jeden zu grüßen, weil es sich so gehört – für eine Dame bei uns im Büro so ganz und gar nicht, sie schaut einen nicht mal an. Ebenso habe ich es immer als normal angesehen, Bitte und Danke zu sagen.

 

Aber genau da liegt auch der Fehler. Wir leben heute in einer Multi-Kulti-Welt. In Deutschland leben Menschen aus aller Herren Länder, sie frühstücken bei McDonald’s, arbeiten für eine koreanische Firma und sehen sich abends einen Thriller aus Bollywood an. Aber das heißt noch lange nicht, dass man auch überall alles darf. Nur weil es für mich normal ist, sich zu grüßen oder auch die Hand zu schütteln, leben die Menschen weiterhin in recht unterschiedlichen Kulturen, die alle ihre eigene, andere Regeln haben.

 

Und warum ist es eigentlich so? Normal ist, was nicht auffällt. Der Durchschnitt halt. Normalität bezieht sich auf das Einhalten von Normen. Denn Normen sind nicht nur Richtlinien für Qualitätsmanagement oder Büromöbel, sondern legen auch wichtige Kriterien im sozialen Miteinander fest. Eine Norm ist weniger als ein Gesetz, aber mehr als eine Vereinbarung unter Einzelnen. Normal ist also das, woran man sich gemeinhin hält. Dadurch glänzt das Normale meist durch die Abwesenheit großer Überraschungen, es glitzert und flirrt nicht. Normalität lässt sich nur schwer posten, und wenn man es doch tut, interessiert sie niemanden.

 

Aber gibt es Normal überhaupt noch? Oder strengen wir uns deshalb an, bloß nicht normal zu sein? Und wünschen uns natürlich, dass das auch bemerkt wird – ein wenig Bewunderung wäre nicht verkehrt! Denn Menschen definieren sich darüber, individuell zu sein. Schauen wir uns allerdings im Bestreben nach dem Außergewöhnlichen genauer um, dann scheint das vermeintlich Normale oftmals gar nicht mehr so normal. Denn tatsächlich ist es ja die Masse, die am liebsten etwas Besonderes sein will. So sind viele Normen nur noch gut gemeinte Ratschläge, die wir annehmen oder – was immer häufiger passiert – in den Wind schlagen können. Konsequenz: Die Abweichung von der Norm ist heute die Norm.

 

Vielleicht ist das ganze Gegrübel sinnlos, wenn man nicht beleuchtet, was denn diese Normalität für uns bedeutet. Es gibt Menschen, die sich bewusst an der Norm, also am Durchschnitt, orientieren. Dann gibt es andere, die bewusst gegen diese arbeiten, obwohl ich bezweifeln mag, dass dies immer wirklich deren Plan ist. Sich abheben zu wollen, ist menschlich. Niemand will sein wie der andere, außer er hat irgendetwas Negatives an sich, was ihn zum Selbsthass bringt. Ich glaube das bewegt sich in einem bestimmten Rahmen. Es gibt Dinge, die wir als normal, selbstverständlich und unabdingbar kennen. Jeder Mensch will Leben, gesund sein und keiner möchte in vollkommener Armut oder Abstinenz leben. Das ist normal. Sobald wir etwas als richtig empfinden, ist es normal. Aus der Sicht von sich selbst, andere mögen darüber anders denken.

 

 

Vielleicht hören wir einfach mal – nur für einen Moment – damit auf, uns selbst bei all dem, was wir tun, zu beobachten und den Ausstellungswert unserer Handlungen abzuschätzen. Womöglich spüren wir dann, dass es so etwas wie Normalität überhaupt nicht gibt und dass das, was wir dafür halten, ein kostbarer Sonderfall unseres modernen Lebens ist. Nämlich die selten gewordene Tatsache, dass die Dinge einfach ihren Gang gehen, dass wir damit kein Problem haben, dass es ist, wie es ist, und wir auch gar nicht viel verändern würden, selbst wenn wir es könnten.

 

So viel Normalität ist eben alles andere als normal. Und deshalb sollten wir sie hin und wieder einfach mal genießen, statt sie zu bekämpfen. Denn eins ist sicher: Die nächste Störung unseres ach so ruhig dahin plätschernden Lebens kommt bestimmt, ob wir wollen oder nicht.

 

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