Warum Geben mehr Spaß macht als Nehmen

„Geben ist seliger denn Nehmen“, so steht es schon im Neuen Testament geschrieben. Auch wenn sich unsere Generation aus Seligkeit wenig macht, so weiß tief in sich drin wohl jeder, dass sich Geben besser anfühlt. Trotzdem tun sich viele damit schwer. Wir Menschen sind zynisch. So sehr, dass viele glauben, nur wer egoistisch ist und die Ellenbogen ausfährt, bringt es in unserer Gesellschaft zu Erfolg. Wer hingegen selbstlosgibt, vergeudet seine Ressourcen und geht unter.

 

Und genau das mussten wir auch letzte Woche wieder erfahren. Unglaublich, wie wenige bereit sind, einen Tag freiwillig zu helfen. Nur einen einzigen Tag. Geschweige denn ihren Keller ausmisten!

 

Wenn meine Arbeitskollegin um einen Gefallen gebeten wird, überlegt sie kurz. Kostet es bloß ein paar Minuten, hilft sie gern. Eine einfache Regel leitet sie durchs Leben: "Du solltest helfen, wenn es dich nur fünf Minuten kostet. Egal wem." Mit dieser Maxime ist meine Kollegin für ihr Alter schon weit gekommen. Und wie hat sie das geschafft? Vielleicht einfach nur, weil sie furchtbar nett ist.

 

Wer hilft, tut dabei auch etwas für sich. Wirklich. Ich glaube an die große Kraft der Nettigkeit. Ich sehe es täglich, wie sich meine Mutter für uns aufopfert, und nicht nur für uns, sondern auch für ältere und kranke in der Nachbarschaft. Viele fragen mich auch, was ich denn davon habe, wenn ich für einen wohltätigen Zweck etwas organisiere oder einfach so Leuten helfe? Im ersten Augenblick habe ich vielleicht nichts davon, aber es kostet mich auch nichts zu helfen.

 

Eines der bemerkenswerten Forschungsergebnisse besagt: Die guten Typen schaffen es überdurchschnittlich oft bis ganz nach oben - Menschen, die ohne Gegenleistung geben, die Freunden helfen und Fremden Ratschläge anbieten. Sie schauen darauf, was andere brauchen und wie sie ihnen helfen können. Sie teilen ihr Wissen, ihre Energie, ihre Verbindungen mit anderen. Und sie sind gerade deswegen erfolgreich.

Und was hat Nettigkeit an Arbeitsplätzen zu suchen?

 

Ich glaube, ich hab es euch schon mal erzählt. Mein Chef meint „Großzügigkeit ist gleich Dummheit“. Und viele, die über Leichen gehen, kommen meiner Meinung auch im beruflichen Leben weiter. Doch leben wir Werte wie Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit tatsächlich in unserem Alltag? Meiner Meinung nach - in gewisser Weise - schon. Denn gerade die jungen Leute wollen, dass man sie bei der Jobwahl berät, eine Empfehlung schreibt oder einen Kontakt vermittelt. Aber wie bleibt man selbst erfolgreich und produktiv? Eins wird schnell klar: Bei dem was man tut, oder was man für andere tu, muss man sich gut fühlen. Wo andere Menschen vielleicht eine Menge Arbeit sehen, sehe ich die Möglichkeiten, mit wenig Aufwand etwas Gutes zu tun.

 

In der heutigen Arbeitswelt klingen Wörter wie Großzügigkeit und Nettigkeit immer exotischer. Amerikaner zum Beispiel glauben an den amerikanischen Traum, dass jeder es schaffen kann, doch dafür auch hart arbeiten muss. Zwar spenden US-Bürger weit mehr als Europäer für wohltätige Zwecke, sie organisieren uneigennützig Straßenfeste in ihrer Nachbarschaft, räumen den Park auf. Hilfsbereitschaft gegenüber Freunden und Familienmitgliedern ist ihnen ein geheiligter Grundsatz. Doch am Arbeitsplatz hat Nettigkeit in den USA wenig zu suchen, dort herrscht die Maxime des Nehmens - so sieht es jedenfalls aus.

 

 

Die Nehmenden wollen so viel wie möglich für sich herausholen, um dadurch ihren Erfolg zu maximieren. Sie stellen ihre Interessen über die anderer Menschen und der Gemeinschaft. Ihr Leitsatz lautet: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. Sie zögern nicht, ihre eigenen Leistungen herauszustellen, und fordern offen Anerkennung für die eigene Arbeit ein.

 

"Hilfst du mir, so helfe ich dir" - Auch Nehmende helfen - aber nur dann, wenn sie sich einen direkten Vorteil davon versprechen. Sie verhalten sich also ganz anders als die Gebenden.

Psychologen haben nachgewiesen, dass die meisten Menschen in engen Beziehungen mit Freunden, dem Partner oder der Familie gern geben und teilen. Doch nicht selten werden aus großzügig Gebenden am Arbeitsplatz egozentrische Nehmende - was in einer Berufswelt, die auf Wettbewerb und Effizienz ausgerichtet ist, ja auch logischer klingt als meine Anleitung zum Guten.

 

Ein anderer Aspekt ist, dass Geben Kontakte bringt, und die bringen Erfolg. In Zeiten von sozialen Netzwerken wie Facebook, Business-Netzwerken wie LinkedIn oder Xing ist das nur eine Frage von Wochen oder Stunden, bis sich gute Taten herumsprechen und so Reputation entsteht. Vielleicht war ein guter Name nie wichtiger als heute, er öffnet in einer vernetzten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft Türen und bringt Aufträge.

Doch Geben will gelernt sein. Gebende müssen genau aufpassen, nicht ausgenutzt zu werden - etwa von Narzissten, die laut Studien von Psychologen leicht einen guten ersten Eindruck machen, weil sie sympathisch und aufgeschlossen auftreten, über Selbstbewusstsein und Humor verfügen.

 

Doch je länger eine Beziehung dauert, desto offener tritt zutage, dass Nehmer weniger interessiert an ihrem Gegenüber sind, sie reagieren gereizt auf Kritik und verhalten sich dominant. Gerade in komplexen Führungsstrukturen können Narzissten als Vorgesetzte ihrem Unternehmen sogar schaden - etwa dadurch, dass bestimmte Informationen nicht zu ihnen durchdringen.

 

Wer erfolgreich geben will, muss solche Leute erkennen, um sich von ihnen nicht ausnutzen zu lassen. Wer richtig gibt, denkt zudem zwar an seine Mitmenschen, hat aber eine klare Vorstellung von den eigenen Prioritäten.

Bewiesen ist auch, dass das Gehirn selbstlose Handlungen mit Wohlgefühlen belohnt, ähnlich denen, die durch Drogen, Sex oder gutes Essen ausgelöst weden können.

 

Helfende leben also länger und glücklicher, und zwar ganz unabhängig davon, wie sie sonst gestrickt sind. Denn Einkommen, Bildungsstand, Stress oder die Persönlichkeitsstruktur spielen für das Glück des Gebens keine besonders große Rolle.

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