Treue.

Wer treu ist– dem Partner, einer Sache oder sich selbst – wirft einen Anker. Und den brauchen wir. Weil wir in einer Welt leben, in der das einzig Beständige das Unbeständige ist.

 

Jemandem ewige Treue zu versprechen ist ein großes Bekenntnis, aber keine Garantie. Auch wenn wir das gern hätten. Denn so – das glauben wir zumindest – muss sich Romantik anfühlen. Liebe wie im Märchen: Ich bleibe bei dir, komme, was da wolle.

Die Realität sieht allerdings anders aus: Fast die Hälfte aller Ehen wird geschieden, und angeblich geht jeder dritte Mann fremd. Es scheint auch fast schon wie ein Trend, dass man sich nach max. 10 Jahren trennt oder scheiden lässt. Oft hört man dann, dass der- oder diejenige etwas verpasst hätte, und es dann in den Mit-Vierziger nochmal nachholen will. Ist der Hang zum Fremdgehen ein klares Indiz für emotionale und soziale Probleme?

 

Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich manche Paare zu schnell aufgeben, oder diesen Anspruch und unsere Ideale zu schnell aufgeben. Eine echte Liebe sollten wir nicht nur anstreben, sondern uns täglich darum bemühen. Wer dafür sorgt, dass die eigene Beziehung lebendig bleibt, reduziert damit auch die Neigung zur Untreue. Es gehören aber auch immer zwei dazu. Und dazu gehört natürlich auch die Konsequenz, dass man sich trennt, wenn dies mit dem Partner nicht zu realisieren ist.

 

Auch sonst scheint es nicht vieles zu geben, dem wir gern ein Leben lang die Treue halten. Wir gehen mit der Mode, wechseln unser Smartphone jedes Jahr, damit wir kompatibel bleiben mit dem Rest der Welt. Und trotzdem – oder gerade deshalb – ist da diese Sehnsucht. Der Wunsch danach, dass das, was wir in einem bestimmten Augenblick für wichtig halten, sich nicht mehr verändern soll. Treue heißt auch sich zu trauen. Es braucht Mut, um aufrichtig, ehrlich und liebevoll die Bedürfnisse in Bezug auf Liebe und auch auf die Form unserer Partnerschaft auszudrücken, und es braucht Hingabe, um ein neues Feld des Wir zu erzeugen, in dem das Ich und Du verschwinden, bzw. auf eine andere Ebene gehoben werden.

 

Aber ist Untreue wirklich genetisch bedingt? Bisher meinten ja Paarforscher, dass Männer darauf programmiert sind, ihre Gene zu verbreiten, um möglichst viele gesunde und überlebensfähige Nachkommen zu zeugen. Menschen leben nur so lange monogam, bis sie ihren Nachwuchs großgezogen haben. Ganz ehrlich, meiner Meinung nach ist das Entschuldigungsmuster, dass vor allem von Männern gern als Ausrede benutzt wird. Umgekehrt muss man aber auch erwähnen: Menschen in glücklichen Partnerschaften lassen sich nicht so schnell verführen. Aber wo hört die Treue auf? Bei einer SMS an jemand anderen? Ein Kuss oder reicht schon der Gedanke an eine andere Person?

 

Der Treue die Treue zu halten – passt das überhaupt noch in unsere moderne Zeit, in der Flexibilität längst als eins der höchsten Güter gilt? Wahrscheinlich ist dieser Widerspruch auch der Grund, warum wir ein so zwiegespaltenes Verhältnis zur Treue haben. Sie im einen Moment hochhalten und im nächsten schleunigst über Bord werfen: Die Dinge ändern sich halt, sagen wir dann achselzuckend. Aber brauchen wir Treue nicht genau deshalb so dringend? Weil sich die Dinge ständig ändern und wir ohne Treue wie ein Papierschiffchen auf den Wellen hin und her schaukeln würden? Richtungslos, dem Wind ausgeliefert – der mal in die eine, mal in die andere Richtung bläst.

 

Schon der Philosoph Immanuel Kant sagte, es sei allein die Unbeständigkeit, mit der wir beständig rechnen können. Wenn dem tatsächlich so ist, müssen wir einen Anker werfen, um Halt zu finden, um nicht unterzugehen. Und das kann zum Beispiel durch Treue gelingen. Durch die Treue zum Partner, zu Freunden, zu einer Sache, zu uns selbst. Es ist ja auch so, dass nur derjenige, der sich selbst treu bleibt, jemand anderen lieben kann. Einfach deshalb, weil er nur dann ein wirkliches Gegenüber ein echter Partner ist.

 

Aber Vorsicht: Unter Treue versteht man nicht, verbissen an etwas festzuhalten. Im Gegenteil. Manchmal fordert Treue uns geradezu auf, Dinge loszulassen – damit wir wahrhaftig bleiben. Es geht nicht um Prinzipienreiterei oder darum, etwas zu tun, weil man es schon immer so getan hat. Deshalb ist es sinnvoll, sich zu fragen: Was lässt mich eigentlich treu sein? Ist es meine innere Überzeugung? Oder eher Sturheit? Womöglich Bequemlichkeit, die sich im Laufe der Jahre breitgemacht hat? Haben wir schlicht und ergreifend Angst, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen? Uns zu fragen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind?

 

Antworten auf diese Fragen müssen wir wohl oder übel allein finden. Denn eben das sind wir uns selbst schuldig – wenn wir uns denn treu bleiben wollen.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0