Mein Revier!

„Wo darf ich mich hinsetzen?“ – „Also eigentlich haben wir keine Sitzordnung, aber hier sitze immer ich!“

Auch schon mal gehört? Eigentlich gibt es keine festen Sitzplätze, trotzdem sitzt man sich immer auf den gleichen Stuhl im Besprechungsraum, oder in der Kantine.

 

Wir Menschen sind wie Hunde: Wir setzen gern Duftmarken und hassen es, wenn jemand in unser Terrain eindringt. Nur kläffen dürfen wir nicht, bedauerlicherweise.


Jeden Tag um 14:30 Uhr gehe ich mit meiner Kollegin runter an die Getränkeautomaten, hole mir ein Red Bull, und dann stellen wir uns in den kleinen Raucherraum. Sie stellt sich immer ganz links ans Fenster, ich mich daneben. Immer. Dabei besprechen wir die wichtigen Themen des Tages: Männer, Wetter, Chefs und ob die andere Sekretärin da jetzt wirklich so einen kurzen Rock an hat oder nicht. Nach unserer Creative Break geht es wieder hoch ins Büro und dann setze ich mich gut durchblutet und gelaunt an den Computer. Alle wissen von unserem 14:30 Uhr-Ritual. Fast alle.

Denn eines Nachmittags war unser Plätzchen im Raucherzimmer besetzt, UNSER Platz! Eine mir völlig fremde Frau, offensichtlich ein Neuzugang, stand da und rauchte gemütlich ihre Zigarette, und sie hatte keine Ahnung, welch überaus peinlichen Gefühlscocktail ihr Anblick in mir auslöste. Hätte ich mich am liebsten vor ihr aufgebaut und: "Entschuldigen Sie, aber das ist unser Stammplatz!" gesagt und sie beiseite gestoßen? Ja, hätte ich. Es gibt ja vieles, das einen erleichtern würde und was man sich trotzdem verkneifen muss. Weil man ja leider ein zivilisierter Mensch ist, der sich zu benehmen weiß. Manchmal ist dieses Wissen eine Zwangsjacke.

Also gingen wir an unserem Stammplatz vorbei und auch alle anderen Stehtische waren besetzt. Zurück im Büro setzte mich auf meinen Stuhl und dachte: Dieser Tag fängt ja richtig scheiße an. Übertrieben? Total. Verständlich? Ich denke ja. Weil wir Menschen zwar etwas größere Gehirne als Hunde haben, aber ihnen in einem total ähnlich sind: Hunde wie Menschen setzen gern Duftmarken, sie markieren damit ihr Revier. Wer wurde noch nie von einem giftigen Ehefrauenblick durchbohrt, wenn man sich völlig harmlos mit einem Ehemann unterhalten hat? Dieses "Hände weg, das gehört mir!" steckt einfach ganz tief in uns drin, seit wir in Höhlen hausten und uns gegen wilde Tiere wehren mussten. Unser Revier ist uns heilig.

 

Und nicht zu vergessen unser Lieblingswort: Meins, meins, meins! Mein Haus, mein Auto, meine Frau – besonders Männer werden zu Kämpfern, wenn es um ihren Besitz geht. Und bei kleinen Kindern ist es nicht anders. Da kommt Besuch, ein anderes Kind will auch mit dem Teddy spielen, und schon geht das Geheule los. Und warum? Weil das Kind denkt, jemand will ihm etwas wegnehmen. Ausleihen? Ausgeschlossen.


Im Besetzen immer gleicher Plätze entsteht eine unbewusste Inbesitznahme von fremden Territorien, heißt es im Internet. Sitzen also andere Menschen dort, geht ein Stück Beheimatetsein außerhalb der Heimat verloren. Und das macht schlechte Laune. Hunde beißen dann, bei mir rebelliert die Magenschleimhaut. Mal mehr, mal nur ganz sanft. Ich schlafe zum Beispiel immer auf der linken Bettseite, sogar wenn ich allein in einem Hotelzimmer bin. Selbst wenn ich Single wäre und der absolute Traummann würde auf links bestehen, ich fürchte, es würde nichts mit uns. Ich kann rechts einfach nicht gut schlafen. Auch an unserem Esstisch bei meinen Eltern habe ich meinen Stammplatz, wenn sich ein unwissender Gast daraufsetzt, sage ich: "Sorry, aber da sitze ich immer!"

So ist der Mensch, und ich bin leider ganz besonders so. Glücklicherweise bin ich aber nicht alleine, denn gerade hier im Büro gibt es noch viele solcher hartnäckigen Revierpinkler.

 

Trotz allem, wo ich auch bin, besetze und verteidige ich blitzschnell mein Terrain. Ich weiß, wie lächerlich das ist, wie unerwachsen. Aber ich fürchte, ich bin zu alt dafür, meine Gewohnheiten zu ändern. Vielleicht ist es auch das Problem, dass ich mich ungern von Altem trenne bzw. mich ungern an Neues gewöhne. Ja, ich weiß, dämlich. Vor allem könnte ich mein Augenmerk auf wichtigere Dinge im Leben richten und mich mal tiefenentspannt auf einen anderen Stuhl setzen.

 

Was kann ich also tun? Tief durchatmen. Es hätte schlimmer kommen können.

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