Dorfmummy.

Ach, das Landleben. Das stellen sich ja einige von uns soo romantisch vor, andere würden sterben, müssten sie nur an den Stadtrand ziehen. Und hätte man mich vor 8 Jahren gefragt, ob ich je wieder in dieses kleine Dorf ziehen würde, hätte ich laut NEIN gesagt!!

 

 

 

Und heute? Tja, ich wohne wieder hier, wo ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe. Vieles davon, besonders die nie enden wollende Sozialkontrolle, kenne ich nur zu gut.

 

 

 

Vor einiger Zeit, als der Ehemann und ich die Entscheidung getroffen haben ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, war die Frage öfters da „Wo“. Tja, wo wollen wir wohnen. Wo sollen wir wohnen. Was wäre am besten für uns und den eventuellen Nachwuchs. Direkt in Stuttgart, wo die Wohnungen teuer sind, man keinen Parkplatz findet, und die Eltern 30-45 min entfernt? Was, wenn was passiert? Oder man kurz ein Auto braucht? Oder was, wenn man den Job wechselt, und dann viel zu weit fahren müsste? Das wollten wir dann auch nicht – also doch back to the roots und lieber Kaff. So wohnen wir in der Mitte, und eine Straße weiter als die Mama. Das Traumhaus für die Mummy gab es zwar nicht, aber eine kleine Eigentumswohnung mit Garten!

 

 

 

Da mein Mann absolut kein Dorfkind ist, hatte er lange damit zu kämpfen. Anfangs, als wir noch frisch im Ort waren, fragte er manchmal um 10 Uhr abends „und wo bekomme ich jetzt ein Eis her?“. Tja, wo? Von nirgendwo! Lach. Ein Eigenheim ist selbst hier auf dem Dorf mittlerweile unbezahlbar, also brauchen wir gar nicht erst über Stuttgart oder Kalrsruhe reden. Durch meine Familie ist es jetzt aber der perfekte Ort für ein Leben als Familie und deshalb beschlossen wir vor ein paar Monaten, hier eine Wohnung zu kaufen.

 

 

 

Bereits vor der Geburt war ich wahrscheinlich allen anderen hier im Ort bestens bekannt, denn an eines sollte man sich auf dem Dorf gleich gewöhnen: Jeder beobachtet dich, bei jedem Schritt in der „Öffentlichkeit“ und in den meisten Fällen kriegst du davon noch nicht mal was mit! – Kein Scheiß! Und die, die dich nicht selbst live beobachten können, weil sie gerade irgendwie verhindert sind, die wissen es 24 Stunden später trotzdem. So wurde zum Beispiel 2010 schon gemunkelt, ich sei vom Schiff runter, weil ich schwanger sei. Ja, genau. Denn online postete ich ein altes Bild mit meiner Nichte, damals noch ein Baby.

 

 

 

Der Sohn wurde geboren und wir begannen, wie alle Neueltern, ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen. Ein Ausflug mit Kinderwagen im Dorf war sehr schnell gleichzusetzen mit: Jeder Sichtkontakt zu einem anderen Mitbürger auf der Straße führt automatisch zu einem Smalltalkgespräch. Also, nicken, lächeln, und immer wieder die gleichen Fragen beantworten („Nein, ein Junge…“, „Nein, schläft noch nicht durch…“ , „Ja, ich stille…“, und so weiter) und hoffen, dass das Gegenüber zeitnah von einem ablässt.

 

 

 

Ja. Hat halt alles Vor- und Nachteile. Dieser ständige Tratsch, Tratsch, Tratsch. Es ist ja auch schön, gegrüßt zu werden. Oder, dass sich der Nachbar Gedanken macht, warum mein Kind die ganze Zeit schreit. Nein, ich schlage es nicht. Und ja, tut mir leid, es ist Sommer und ich muss das Fenster offen lassen. Im Austausch bekomme ich natürlich brühwarm alle großen und kleinen Sensationen der aktuellen Geschehnisse auf dem goldenen Tablett serviert – ob mich das jetzt großartig interessierte oder nicht: nebensächlich!

 

 

 

So war wahrscheinlich auch schnell bekannt, dass der Ehemann und ich zu der Sorte Rabeneltern gehören, die ihre Brut bereits mit einem Jahr in eine Kita steckt, um wieder arbeiten zu gehen. Schubladendenken in seiner reinsten Form begegnete mir somit bald bei jedem erdenklichen Kontakt mit anderen Dorfmuttis. Karriergeil. Nein. Ich nicht. Aber tut mir leid, mein Mann verdient nun mal kein Schweinegeld, dass ich es mir erlauben könnte, zu Hause zu bleiben.

 

 

 

Mehr Beispiele? Bitte! „Die geht doch nur wieder arbeiten, weil sie nicht bereit ist Abstriche zu machen“, „Die haben kein Geld mehr“, „Die hat keinen Bock auf ihr Kind“ oder „Die ist überfordert“. Ja genau, all das und noch viel mehr!

 

 

 

Welche abenteuerlichen Geschichten ich mir über den Kindergarten, in den der Sohn zeitnah gehen sollte, anhören durfte, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Schließlich hat man ja wohl keine Kinder in die Welt gesetzt, um sie dann fremdbetreuen zu lassen! Das geht ja gar nicht! Dass eine Mutter ihr Kind auch dann liebt, wenn sie sie nicht 24/7 bis zu deren dritten Lebensjahr am Körper trägt, unvorstellbar.

 

 

 

Wir ließen uns trotzdem nicht beirren und der Sohn wurde super integriert in unserer kleinen Kita.

 

Glücklicherweise verlief ALLES absolut toll und reibungslos. Der Sohn nahm keinen tiefergehenden seelischen Schaden und blieb das aufgeweckte, fröhliche Kerlchen, das er von Geburt an gewesen war. Er lebte sich gut ein und wurde schnell ein richtiges Kindergartenkind. (siehe Eintrag zur Kitaeingewöhnung).

 

 

 

Im Kindergarten fahre ich die Vermeidungstaktik: Rein, Karl mitnehmen, wieder raus und fertig. Keine Listen in die ich mich eintragen muss, keine Gespräche über Nonsense. Nicken und Lächeln nicht vergessen! Ganz wichtig.

 

 

 

Dass ich nicht die Kuchen backende, auf allen Events anwesende und überfürsogliche Vollblut-Mummy geworden bin? Ich kann das einfach nicht. Ich kann so nicht sein und ich will so nicht sein. Aber für die Gemeinschaft ist es toll, dass es Mütter gibt, die bereit sind, ihre Zeit für diese Dinge zu opfern und ihren Lebensinhalt damit füllen, nur Mutter zu sein. Und wohin mit den ganzen Infos, wenn sie niemand verbreitet?!

 

 

 

Manchmal habe ich auch ganz still und leise die „Großstadmamas“ beneidet. Einfach den Kinderwagen schnappen und losrennen, in irgendein Kaffee oder einfach nur schlendern in der Fussgängerzone – in Geschäfte gucken und Zeit rumkriegen. Ich stellte mir vor, dass man dort nicht für alles was man sagt oder tut, bewertet wird und dass es wahrscheinlich auch keinen interessiert, weil es so viele unterschiedliche Mütter- und Frauentypen gibt, dass man nach dem Deckel für sein Töpfchen nicht lange suchen muss.

 

 

 

Auf dem Dorf läuft das ein bisschen anders. Der Kreis derer, die im gleichen Boot sitzen, ist klein. Extrem klein. In diesem Kreis jemanden zu finden, der zu einem passt, wenn man selbst nicht ganz anspruchslos ist – fast unmöglich. Und trotzdem mag ich das Dorfleben sehr – es ist halt wie es ist – wahrscheinlich wie in jedem anderen Dorf dieser Welt auch.

 

 

 

Liebe Leser, wo wohnt Ihr und fühlt Ihr Euch wohl, dort, wo Ihr seid?