Das ist unfair.

Ich glaube, den Satz kennt jeder. Und vor zwei Tagen hab ich ihn nicht mehr aus dem Kopf bekommen, nähere Umstände sage ich lieber nicht. Seien wir mal ehrlich, das Leben läuft oft nicht so, wie wir’s uns wünschen. Wir verlieren, werden krank, werden gefeuert oder verlassen, sehen unsere Partner einen anderen oder eine andere küssen, wie sie uns seit Jahren nicht geküsst haben, sehen schlimmstenfalls sogar unsere Kinder verunglücken. Das allein heißt aber noch nicht, dass das Leben auch unfair ist. Aber im ersten Augenblick empfinden wir so.

 

 

 

Die Christen sagen: „Man erntet, was man sät“. Die meisten Menschen, mich eingeschlossen, verzehren sich nach der Gerechtigkeit. Nach dem guten Ende. Danach, dass die Schurken bestraft und die Helden belohnt werden.

 

 

 

Mir geht’s ziemlich gut, ich habe ein schönes Leben, hab mich oft angestrengt, aber auch oft Glück gehabt. Ich musste nie Hunger leiden, habe mehrere Ausbildungen absolviert, war im Ausland und hatte immer Freunde (nur mit mir selbst war ich lange Zeit nicht befreundet). Und trotzdem, auch wenn alles viel schlimmer hätte kommen können: ich hadere mit Dingen, vor allem wenn es um das Finanzielle geht, die mir einfach unfair erscheinen.

 

Und wie erleben unsere Kleinen die Fairness im Leben? Wenn sich Kinder ungerecht behandelt fühlen, sollten Eltern ruhig, liebevoll aber bestimmt Grenzen setzen - allerdings auch zuhören und im Einzelfall Kompromisse zulassen.

 

 

Bereits die ganz Kleinen fühlen sich von ihren Eltern manchmal ungerecht behandelt - und beschweren sich. Weil ihnen angeblich viel weniger erlaubt oder materiell zugestanden wird als anderen Kindern. Wie können wir Eltern damit umgehen? Es gibt ein schönes Bild, das auch kleine Familienmitglieder schon verstehen: Jede Familie ist ein Team, das nur funktioniert, wenn alle Mitglieder mitspielen. In jedem Team gibt es bestimmte Regeln. Wenn aber nun Mitglieder eines anderen Teams nach 20 Uhr noch fernsehen dürfen, dann gilt das nicht automatisch auch für das eigene Team. Es ist also nicht entscheidend, was andere dürfen, sondern, dass die eigenen Regeln eindeutig sind und standhaft. Was gestern erlaubt war, darf nicht heute verboten werden und umgekehrt, sonst schrumpft das Vertrauen des Kindes.

 

 

 

Sollten wir also verbieten, egal, was das Nachbarskind alles darf? Nö – erst mal zuzuhören. Das signalisiert unserem Kind: es wird ernst genommen. Und als nächstes folgt, uns mit dem „Aber andere dürfen“ auseinander zu setzen. Auch, um selbst ernst genommen zu werden.

 

 

 

Aus richtigem Zuhören kann auch folgen, im begründeten Fall Kompromisse einzugehen oder sogar nachzugeben. Damit räumen wir nicht nur Mitsprache ein, sondern fördern auch gleich die Verhandlungsfähigkeit - teilweise geht das sogar schon im Kindergartenalter. Für uns bedeutet die Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf "Aber alle anderen dürfen auch...", ihn zu drehen und zu wenden. Wer sind denn „alle“? Was genau dürfen bzw. haben „alle“? Meist stimmt es nämlich gar nicht. Ich kann mich noch gut an die Worte meiner ehemaligen Chefin erinnern. Als ihr Sohn klein war meinte der Nachbarsjunge, er dürfte ständig mit der Spielekonsole spielen. Ihr Sohn war natürlich traurig, da er selbst keine hatte und dies als unfair empfand. Als der Nachbarsjunge dann von der Mutter abgeholt wurde, fragte sie natürlich gleich nach, ob dies so stimmt. Tja, dreimal dürft ihr raten. Ja, er hatte eine Konsole, aber nein, natürlich durfte auch er nicht den ganzen Tag davorsitzen. Aber der beste Spruch meiner ehemaligen Chefin ihrem Sohn gegenüber war damals „Wenn du es hier so schlimm findest, dann frag doch mal die Nachbarin, ob sie dich adoptieren“. Das hatte gesessen, aber ihn auch zum Nachdenken angeregt. Denn meistens ist es doch nicht so schlimm und ungerecht zu Hause.

 

 

 

Im Kleinkindalter reicht meist ein liebevoll-bestimmtes „Wir möchten das nicht, weil…“: Und dann sollte eine verständliche Begründung folgen.

 

Bei etwas Älteren, wo es dann um das Materielle geht, muss man schon anders reagieren. „Wenn du die Playstation unbedingt haben willst, musst du dein Taschengeld für längere Zeit ins Sparschwein stecken.“ Wenn er oder sie dann auf diese Weise zumindest einen Teil der Anschaffung selbst beisteuert, ist die Freude darüber vielleicht sogar größer als bei Liam von gegenüber, der die Playstation selbstverständlich geschenkt bekam, weil er „immer alles“ geschenkt bekommt, ohne dafür einen Finger zu krümmen.

 

 

 

Was noch auf mich zukommen wird, und wir alle vielleicht unterschätzen, ist die Gruppendynamik, die schon in der Grundschule eine Rolle spielen kann. Gerade Statussymbole wie Markenkleidung, Videospiele und Handys können über die Gruppenzugehörigkeit entscheiden. Das gilt auch für bestimmte Fernsehsendungen, bis hin zu Hobbys und Urlaubszielen. Das muss man nicht gut finden - und die wenigsten Eltern tun es. Doch der Gruppendruck ist nun einmal groß. Können Kinder nicht bei allem mitmachen oder über alles mitreden, was bei Gleichaltrigen derzeit angesagt ist fühlen sich als Außenseiter. Und gerade zu Beginn der Pubertät ist Zugehörigkeit eines der wichtigsten Bedürfnisse der Heranwachsenden.

 

 

 

Dennoch ist es an den Eltern, einen Kompromiss zu finden zwischen Pädagogik und Gruppendynamik, Sorgen und materiellen Zwängen. Oft stellt sich nach Gesprächen mit anderen Eltern heraus: Alles Quatsch, die berühmt-berüchtigten "Anderen" haben ähnliche Regeln einzuhalten und von Ihnen wird genauso viel erwartet. Also – alles gut.

 

 

 

Puh – und dann noch das ewige Thema unter Geschwistern. Streit gehört zum Alltag. Ein Geschwisterstreit ist aber nicht weiter schlimm, wenn alle fair bleiben. Aber geht das bei 3 oder 4 Kindern überhaupt? Wenn das ältere Geschwisterkind schon mehr darf, z.B. länger aufbleiben, bei einem Freund übernachten, mehr am Computer spielen oder mit Gleichaltrigen in der Stadt bummeln, gilt natürlich immer das Argument, wonach der Größere schon etwas erwachsener ist, also auch mehr darf - z.B. mehr Verantwortung tragen. Allerdings sollten wir das typische „Dafür bist du noch zu klein“ vermeiden, wenn wir nicht am Selbstwertgefühl unseres Nesthäkchens kratzen wollen. Alternative wäre: Gehen die älteren Geschwisterkinder ins Kino, darf sich das Kleinste eine schon lang gewünschte Kinder-DVD ausleihen. Oder mal wieder allein mit Papa oder Mama etwas unternehmen.

 

 

 

Was lernen wir also? Das Leben ist nicht fair, aber auch nicht unfair – ihm ist es einfach egal, was mit uns passiert. Niemand hat uns versprochen, dass es fair ist. Also können wir Fairness auch nicht einklagen und brauchen mangelnde Fairness nicht beklagen.

 

Was mir passiert, hab ich nicht voll in der Hand. Aber was ich tue oder wie ich damit umgehe, kann ich meistens trotzdem beeinflussen. Damit bleibt es für mich sinnvoll, zu kämpfen und zu wachsen. Mein Abenteuer mit offenem Ausgang.

 

 

 

„Zu erwarten, dass das Leben Dich fair behandelt, weil Du ein guter Mensch bist, ist wie von einem Stier zu erwarten, dass er Dich nicht angreift, weil Du Vegetarier bist.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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