Frei wie ein Vogel.

Ich hab lange überlegt, ob ich darüber schreiben soll. Etwas sagen soll. Ich meine, viele haben es anfangs gar nicht mitbekommen. Erst, als wir die Wohnung verkauft und ich im Ort umgezogen bin…

 

Aber manchmal hilft es ja auch, über etwas zu reden. Zumindest ein bisschen…

So. Wie fängt man nun an.

 

Seit nun einem Jahr bin ich getrennt. Noch nicht geschieden, aber Scheidung läuft. Tja. Aber wie sagt man so schön: Beziehungen scheitern nicht. Sie enden.

Wie ein gutes Buch, das einfach irgendwann aus ist, auch wenn die Seiten voll schöner Worte und Momente waren. Beziehungen enden, wie ein Urlaub, der zwar entspannend war, aber irgendwann einfach vorbei ist. Beziehungen enden, wie eine gute Flasche Wein, die einfach irgendwann ausgetrunken ist.

 

Statistisch betrachtet ist es sehr wahrscheinlich. Und trotzdem geht man nicht davon aus, dass man zu den 50 Prozent jener Ehepaare gehört, die geschieden werden. Man gehört zu den anderen. Zu denen, bei denen es heißt: Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Das ist der Plan, so muss es sein.

 

Umso schmerzhafter ist dann die Erkenntnis, dass es nicht so sein muss. Nach langem Nicht-Wahrhaben-Wollen gesteht man sich irgendwann ein: Das hat keinen Sinn mehr. Bei mir war es ein Tropfen, der das schon zum Dauerzustand gewordene Gefühl von „Wir sind beide nicht mehr glücklich, es hat keinen Sinn mehr“ schließlich zu dem Satz „Wir sollten uns trennen“ werden ließ.

 

Und ganz entgegen dem, wie ich es mir vorstellte kam es zum großen Drama, viel Geschrei und Unmengen an Wut oder verletztem Stolz…

 

Und dann war es da – ganz viel Traurigkeit. Wir waren 10 Jahre verheiratet, haben viele (sicherlich auch) schöne Jahre miteinander verbracht und gemeinsam das Beste geschaffen, was uns wohl in unserem Leben gelungen ist und gelingen wird: unseren Karl.

 

Und ich glaube, gerade für ihn war diese Entscheidung, die für mich ein logischer Schritt war, natürlich völlig unverständlich. Ich habe all die Sätze gesagt, die in so einer Situation empfohlen werden. „Papa und Mama haben sich nicht mehr lieb, wir haben dich aber immer lieb.“ Aber keine Erklärung beantwortet ihm, warum seine Welt auseinanderbricht. „Warum spricht Papa nicht mehr mit dir – als wir noch in der alten Wohnung waren, war doch alles in Ordnung.“ Ja. Was sagt man einem Kind da? Die Antwort kenne ich ja selbst nicht mal…

 

Da wir bis Ende 2020 noch zusammenlebten, fing es mit dem Erklärungsbedarf erst im Januar an, als das tolle System der Aufteilung nicht wirklich funktionierte. Gründe, ihn nicht mehr zu ihm zu lassen, gibt es genug… aber wie erklärt man seinem fast Fünfjährigen, dass er den Vater jetzt eine Zeitlang nicht sehen kann? Ich konnte es nicht und kann es immer noch nicht.

 

Ich habe mir geschworen, nicht schlecht über ihn zu sprechen. Aber wie kann ich ihm begreiflich machen, dass es Situationen gibt, in denen der Kontakt für ihn nicht gut ist, ohne zu sagen, warum?

 

Für mich heißt es seit der Trennung vor allem: funktionieren. Alles alleine stemmen, alles regeln, den Alltag allein bewältigen, die Kosten und vor allem die Verantwortung alleine tragen. Im Job funktionieren, denn diesen zu verlieren hätte das ohnehin brüchige Konstrukt, das nun mein Leben war, komplett zum Einsturz gebracht. Und nicht zu vergessen: mein Masterstudium.

 

Mir war es am Anfang extrem peinlich zu sagen „wir haben uns getrennt“. Ich fühlte mich, als hätte ich im Leben versagt. Ich dachte immer, ich heirate nur einmal im Leben. Und 10 Jahre hab ich es versucht, so manches mitgemacht. Aber irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich konnte einfach nicht mehr….

 

Mühsam bis ärgerlich waren viele Kommentare, die ich mir anhören konnte.

„Warum habt ihr euch getrennt? Mein Mann und ich streiten auch manchmal.“ – Ja, danke. Ich habe mich natürlich nur getrennt, weil ich nicht wusste, dass manchmal streiten ganz normal ist. Hätte mir das nur früher jemand gesagt.

 

Menschen fällt gar nicht auf, wie abwertend das ist und dass bei so einer Aussage der Vorwurf mitschwingt, man hätte es sich zu leicht gemacht und nicht wirklich bemüht.

 „Hatte er eine Andere? Hast du einen Anderen?“ – Ja, danke. Wir leben in einer Seifenoper, die einzig logische Variante ist, dass jemand fremdgegangen ist. Und es freut mich natürlich ganz besonders, dass meine Trennung eine schöne Gelegenheit für dich ist ein bisschen zu gossipen.

 

„Hast du schon jemand Neuen?“ – Ja, danke.  Meine Welt hat sich einmal auf den Kopf gestellt, dreimal um die eigenen Achse gedreht und mich zerzaust und verwundet zurückgelassen, aber ich habe natürlich nichts anderes im Sinn, als mir einen Neuen zu angeln! Und als berufstätige alleinerziehende Mutter gibt es ja nichts einfacheres, als ein paar Aufrisse zu machen.  

 

„Jetzt hast du ja viel kinderfreie Zeit/Wochenenden – genieß es!“– Ja, danke. Das Kind wegfahren zu sehen, ist natürlich ganz einfach und überhaupt nicht schmerzhaft. Und die freie Zeit ist natürlich ganz und gar nicht überfordernd, sondern ach so toll. Vor allem, wenn der gesamte Freundeskreis aus Pärchen und glücklichen Familien besteht. Zeit für mich – klingt gut, musste ich aber tatsächlich wieder lernen. Und das „genießen“ kam erst jetzt richtig, dank einer guten Freundin (die sich meinen schlechten Einfluss nennt, liebe A.N.).

 

Es gab aber auch viele positive Erlebnisse. Freundschaften, die sich vertieft haben, Menschen, die die richtigen Worte fanden, Freunde, bei denen ich mich einfach ausheulen und auskotzen konnte.

 

Nun ist die Trennung ziemlich genau 1 Jahr her und die Scheidung läuft schon eine ganze Weile. Ich bin leider noch nicht an einem Punkt wo ich sagen kann „Ach, alles ist geklärt und geregelt“, aber ich hoffe, dass dies irgendwann auch noch kommt. Aber es bestärkt mich darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Daran habe ich mittlerweile gar keinen Zweifel mehr. Betrauert habe ich vor allem die verlorene Zeit. Sehr ausführlich betrauert sogar. Ich hätte diesen Schritt schon viel früher wagen sollen. Mutiger sein. Aber wie da so ist: Die Zeit heilt alle Wunden.   

 

Karl scheint sich in der neuen Situation gefunden zu haben. Er liebt die neue Wohnung, sein Zimmer, sein Bett. Ganz unbelastet erzählt er manchmal etwas und fügt dann, um den Zeithorizont deutlich zu machen, hinzu:  „Das war, als Papa noch mit uns gewohnt hat.“ Eine Feststellung, kein Vorwurf, auch keine Wehmut ist herauszuhören.

 

Tja. Und nun bin ich Alleinerziehend. Ich mein, ist ja nicht so, als hätte ich vorher nicht schon vieles alleine gemacht. Die, die mich kennen, können das bestätigen…

 

Aber es ist doch manchmal anstrengend den Alltag allein zu managen. Was am meisten fehlt: Die eine Person, die sich für dieses Familienleben ganz genauso interessiert, wie man selbst, weil es auch für ihn das wichtigste und einzige Leben ist. Die Person, mit der man den Alltag teilt, mit der man über die Details des Alltags genauso lange und intensiv reden kann, wie über die großen Sorgen, die beide beschäftigen. Jemand, der am Abend sagt „Du kannst 10 min spazieren gehen, ich mach das hier schon“. Die Zeit für sich, der Ausgleich, fehlt manchmal einfach…

 

 

Ich wollte nicht glauben, was mir ein Freund kurz nach der Trennung sagte: Es wird leichter. Unvorstellbar schien mir das. Mittlerweile weiß ich, er hatte recht. Es wird ohnehin nicht wieder so, wie es war. Darauf braucht man nicht zu hoffen. Aber es wird leichter. Es ist halt alles anders. Aber alles auf Anfang. Und ich fühl mich frei. Frei wie ein Vogel. 

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