Selbstverständlich.

Wenn uns jemand um Hilfe bittet, muss er sie auch bekommen? Kann er das tatsächlich von anderen erwarten? Oder nur unter bestimmten Umständen? Und wer legt sie fest? Anders gefragt: Gibt es überhaupt eine für alle geltende Definition von Selbstverständlichkeit?

 

Kennt ihr das auch? Man verliert seinen Autoschlüssel oder etwas wertvolles, jemand findet es und bringt es anstandslos zum Fundbüro. Meist ist man dann selbst total verblüfft, denn so viel Ehrlichkeit gibt es heut zu tage selten. Oder man tut jemanden einem Gefallen und sagt: "Aber das ist doch selbstverständlich."

 

Nur - ist es das wirklich? Wenn wir bedenken, wie sorgfältig wir alles ab- und wegschließen, dem finster aussehenden Typen auf der anderen Straßenseite misstrauen und ständig mit den neuesten Zahlen beglückt werden, wie oft und auf welche Weise wir beklaut, betrogen und hinters Licht geführt werden könnten, dann scheint es sich nicht von selbst zu verstehen, dass uns ebenso das Gegenteil passieren kann - das Gute eben, so ganz selbstverständlich ohne großes Tamtam. Wie kommen wir also zu der Einschätzung, dass etwas selbstverständlich ist und etwas anderes nicht? Und für wen? Und was genau meint eigentlich dieses "Selbst", das offenbar so verständlich ist, dass wir darüber nicht weiter reden müssen?

Wann stellt man sich denn diese Fragen? Für uns scheint alles immer selbstverständlich zu sein. Das Essen auf dem Tisch, das fließende Wasser aus dem Hahn, die Gesundheit im Allgemeinen, der Sport, die Liebe, das Leben etc. Alles eben selbstverständlich. Schauen wir aber mal über den Tellerrand, dort sehen wir Krieg, Leid, Flüchtlinge, die um ihr Leben fürchten, kranke und arme Menschen die nicht wissen wie sie ihre Familie ernähren sollen, Kinder die unheilbar krank sind, Naturkatastrophen etc.

 

Eine Selbstverständlichkeit kann einerseits von einem Menschen als aus sich selbst heraus verständlich angenommen werden, etwa weil es für diese Person unter bestimmten Kriterien oder Wertsetzungen nur einen "verständlichen" Weg gibt. Es kann aber auch etwas sein, das aus sich selbst heraus sinnvoll und damit verstehbar wird, weil es schlüssig, stimmig - auf eine manchmal nur schwer erklärbare Weise richtig und gut erscheint.

Der Gedanke der Selbstverständlichkeit geht von einem moralischen Wert aus, den wir für "nicht der Rede wert" halten, einen Glauben daran, dass es Dinge sind, die "gut" sind und die wir vertreten wollen, ohne sie immer wieder infrage zu stellen. Es ist gut und richtig, jemandem das Portemonnaie zurückzubringen und das Geld nicht in die eigene Tasche zu stecken - das wissen wir alle. Aber bei anderen Fragen gehen die Vorstellungen dessen, was sich von selbst versteht, weiter auseinander.

 

Ist es selbstverständlich, die eigenen Eltern zu Hause zu pflegen? Oder dürfen wir auch ohne schlechtes Gewissen ein Pflegeheim in der Nähe für sie auswählen? Ist es tatsächlich selbstverständlich, jemandem zu helfen, dessen Auto an der Autobahn liegen geblieben ist?  Sind wir uns dem eigentlich, bewusst wie gut es uns geht? Viele von euch werden jetzt denken, na klar bin ich mir dessen bewusst. Aber ist es wirklich so? Wir sollten für alles dankbar und unendlich zufrieden sein, und das am besten jeden Tag. Jeden Tag, an dem wir gesund aufwachen, mit klarem Verstand in den Tag starten.

 

Das, was für den einen so selbstverständlich ist, dass es nicht einmal der Rede wert ist, ist für den anderen eine schwierige Auseinandersetzung, denn das, was wir als das Richtige verstehen, ist eben nicht immer das, was uns das Leben leichter macht. Sich daran zu halten, ist unbequem und manchmal anstrengend und damit dann letztlich wieder alles andere als selbstverständlich.

 

Nichts auf dieser Welt ist so wenig selbstverständlich wie das sogenannte Selbstverständliche.

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