Trotzphase?

lFrüher war das Leben noch leicht. Da sah man Eltern mit schreienden Kindern im Supermarkt, in der U-Bahn oder sonst wo in der Öffentlichkeit und schüttelte den Kopf. Pah, das würde ich besser hinkriegen. Das kann doch nicht so schwer sein, ein Kleinkind zu besänftigen. Und dem Kind gegenüber laut werden? Niemals! Mal wieder hat mich meine Erfahrung als Mutter eines Besseren belehrt. 

 

 

 

Karl hatte schon immer seinen eigenen Kopf. Sei es beim Spielen, beim Essen oder beim Schlafen. Anfangs war das eine ziemliche Herausforderung, doch mit der Zeit lernten wir damit umzugehen. Wir übten uns in Geduld. Doch nun stellt das Kind unsere Geduld auf eine ganz neue Probe: Hallo erste Trotzphase! Da kann die Mama fünfmal nein sagen, das wird schön überhört.

 

 

 

Aber was passiert da eigentlich? Gute Frage oder? Schließlich durchlebt ein jedes Kind diese Phase. Wollen die Kinder uns damit ärgern? Uns testen und damit schauen, wie weit sie bei uns gehen dürfen? Manchmal denke ich echt nur „du Lümmel, das hast du doch jetzt mit Absicht gemacht!“ (Sorry für die Ehrlichkeit). Und ja, er weiß, dass er es nicht machen soll, macht es, und grinst ganz frech noch dazu.

 

 

 

Mit jeder Woche und jedem Monat, in der das Kind an Alter und Lebenserfahrung dazu gewinnt, gewinnt es auch neue kognitive Fähigkeiten. Irgendwann, eigentlich erst um den zweiten Geburtstag herum, entwickeln Kinder ein Bewusstsein für das eigene Ich. Sie wissen mehr oder weniger, wer sie sind und was sie wollen. Das Problem besteht jedoch darin, dass ihre motorischen und sprachlichen Fähigkeiten unzureichend ausgebildet sind, um ihre Bedürfnisse und ihren Willen zu befriedigen. Kinder in diesem Alter entwickeln bereits eigene Pläne, doch scheitern letztendlich entweder an ihrer motorischen und sprachlichen Fähigkeit oder an dem "Nein", das ihnen die Eltern erwidern.

 

 

 

Erst heute wollte Karl wieder auf den tollen Glastisch steigen, der leider sein Gewicht aber nicht aushalten würde. Einfach nicht Kleinkind tauglich. Also heißt es von uns immer „Nein Karl, das darfst du nicht!“. Und wir versuchen ihn abzulenken. Keine 10 min später versucht er es erneut. Das Ende der Geschichte: lautes Geschrei. Für uns gibt es dann immer ein Time-Out, das heißt, wenn er Sachen mehrmals macht, die er nicht machen soll oder darf, dann muss er für ein paar Minuten in seinen Laufstall. Er soll schließlich realisieren, dass man das nicht darf.

 

 

 

(Klein-)Kinder müssen erst lernen, mit diesen neuen Emotionen umzugehen. Jeder Entwicklungsschritt und jede Entwicklungsphase hat ihren Sinn. Die so genannte Trotzphase lehrt sie, wie sie mit Gefühlen, Stress und Frustration umzugehen haben. Es prägt sie für ihr Leben im Umgang mit anderen Menschen, im sozialen Miteinander. 

 

 

 

Und wir Eltern? Wer hilft uns in dieser Phase? Meistens müssen wir seine Pläne unterbinden und lautes Geschrei in Kauf nehmen. Dabei setzten wir uns immer auf seine Augenhöhe hin und versuchen zu erklären, dass er sich bei dem Vorhaben sehr wehtun könnte. Mein Mann ist da immer recht cool, mit ruhigem Ton, eher witzelnd. Mir hingegen fehlt da noch das Feingefühl und meist werde ich leider  laut. Auch, weil die Aktionen so plötzlich kommen. Oder, gerade dann, wenn man sich umdreht.

 

 

 

Wenn es zu Hause zu so einer Situation kommt, muss man das Kind einfach schnell ablenken. Raus auf den Balkon, oder schnell den Bagger herholen, oder ein Buch. Doch es gibt natürlich auch Situationen, in denen wir ihm keine Alternative bieten können. Oder in denen er im Supermarkt ziemlich viel zerstören würde. Ja, das sind die Situationen, in denen er ein striktes Nein zu hören bekommt. 

 

 

 

Es vergehen Tage, wo es keine Probleme gibt, doch dann gibt es wieder Tage, an denen kaum eine Stunde ohne solch einen Anfall vergeht. Ja das sind die Tage, an denen unsere Geduld wirklich auf die Probe gestellt wird. Von Aktion zu Aktion ist weniger Geduld und Verständnis übrig. Vor allem wenn man gerade frisch vom Arbeiten kommt, noch andere Sachen im Kopf hat, dann stehe ich kurz vorm Durchdrehen.

 

 

 

Mir ist es jedoch wichtig, dass ich mit Karl gut und nach meinem Verständnis richtig umgehe. Diese Zeit ist eigentlich viel zu wichtig, zu prägend für ihn, als dass ich ihm pampig und verständnislos begegnen sollte. Also versuche ich den Alltag anders zu planen. Ich versuche mir selbst den Druck zu nehmen, der auf mir lastet und mehr Zeit für Karl einzuplanen. Anstatt immer schnell machen zu wollen, nehme ich mir die Zeit, um ihn erkunden zu lassen, was er interessant findet. Das Wichtigste ist tatsächlich, dass wir uns die Zeit für unsere Kinder nehmen und unseren Alltag nicht mit Pflichten füllen, die keinen Raum für Geduld und Verständnis lassen würden. 

 

 

 

Es ist wichtig, dass wir Eltern wissen, dass unsere Kinder uns mit diesen Wutanfällen nichts Böses wollen. Sie wollen uns nicht austricksen oder testen, sie wollen viel mehr ihre Eigenständigkeit beweisen und ausprobieren. Scheitern sie daran, kommt es über sie, wie eine Naturgewalt. Unsere Kinder lernen mit Gefühlen umzugehen, Durchhaltevermögen beim Lernen zu entwickeln und sie lernen, wie man miteinander umgeht. Es liegt in unserer Hand, den Grundstein für ein verständnisvolles, lernbewusstes Kind zu legen. Es mag sehr anstrengend sein, doch die Zeit und die Mühe werden sich lohnen.